Ehemalige Mühle BJ. 1872
Aufgabe 1972
Die Molkerei Poppenburg
Vorbemerkungen
Um die Entwicklung des Molkereiwesens zu verstehen, bedarf es einiger Erklärungen.
Welches waren die Ursachen für die zahlreichen Gründungen von Molkereigenossenschaften, und wie war die Milchwirtschaft vor Gründung der Molkereien organisiert?
Die ersten genossenschaftlichen Molkereien wurden um 1875 gegründet, die der Molkerei Poppenburg erfolgte 1907.
Die Milch wurde in vielen kleinstbäuerlichen aber auch größeren Betrieben erzeugt (zwischen 1800 und 1914 kamen auf 100 Einwohner ca. 45 Kühe). Zwischen diesen Betrieben ist jedoch ein Unterschied festzustellen.
In den kleineren Betrieben diente die in geringer Menge anfallende Milch in erster Linie der Eigenversorgung und dem „ab-Hof-Verkauf“ an die Dorfbewohner
Aus dem Rahm, dem „Milchfett“, wurde in einem Butterfass Butter hergestellt, die anfallende Molke wurde in der Tierfütterung verwendet.
In größeren Betrieben fielen größere Milchmengen an, die auch einer entsprechenden Verarbeitungskapazität bedurften.
Hier wurde der Rahm in „Satten“(flache Schüsseln) gewonnen, so dass in größeren Mengen Butter oder auch Quark hergestellt werden konnte.
Diese Produkte konnten dann durch sogenannte „Butterfrauen“ auf dem Markt verkauft werden.
Insbesondere in den Städten hatten die Milchhändler eine bedeutende Stellung. Sie kauften die Milch, häufig per Kontrakt, direkt bei den Bauern, um sie dann als Rohmilch oder als weiterverarbeitetes Produkt an die städtische Bevölkerung zu verkaufen.
Die Gewinnung des Rahms war bis zu diesem Zeitpunkt mit den bekannten Verfahren langwierig und in nicht ausreichenden Mengen zur Versorgung der Bevölkerung möglich.
Diese Situation sollte sich ab 1875 grundlegend ändern.
Neue technische Entwicklungen und wissenschaftliche Erkenntnisse führten zu einer rasanten Entwicklung der Milchverarbeitung und Milcherzeugung.
Dieses wiederum führte zu einer Gründungswelle von Molkereigenossenschaften, die es nun ermöglichten, die wachsende Bevölkerung mit dem hochwertigen Lebensmittel Milch in ausreichender Menge zu versorgen.
Wer waren die maßgeblichen Personen dieser Entwicklung?
1875 gelang den Gebrüdern Prantl mit der technischen Entwicklung der Zentrifuge ein erster Durchbruch.
Die Zentrifuge wurde 1878 durch Gustav de Laval zu einem Separator weiterentwickelt. Damit war nun erstmalig eine kontinuierliche Entrahmung der Milch in sehr großen Mengen möglich, sowie die weitere Verarbeitung zu Butter, Quark und Käse.
Die wissenschaftlichen Erkenntnisse lieferten Louis Pasteur (1822–1895) und
Robert Koch (1843 1910).
Pasteur entdeckte 1861 die Milchsäure/Buttersäurebakterien. Er stellte fest, dass durch kurzzeitige Erhitzung der Milch, Krankheitskeime, die sich in der Rohmilch befanden, abgetötet wurden.
Noch heute wird dieses Verfahren angewendet und nach ihm unter dem Begriff „pasteurisieren“ benannt
Robert Koch entdeckte 1876 den Milzbrandbazillus und 1882 den TBC Erreger. Mit diesen Erkenntnissen war es nun möglich, infizierte Milchkühe in den Kuhbeständen durch Milchproben zu erkennen. Diese Kühe wurden dann ausgemerzt, um somit eine keimfreie Rohmilch zu gewinnen.
Das waren die Voraussetzungen für die erfolgreiche Entwicklung der Milch zu einem sehr vielfältigen, gesunden Milchprodukt, wie wir es heute kennen.
Die Gründung der Molkereigenossenschaft Poppenburg
Die aufgeführten Rahmenbedingungen führten im Jahr 1907 zur Gründung der Molkereigenossenschaft Poppenburg.
Am 27.12.1907 fand die Gründungsveranstaltung in Wülfingen statt,
57 Mitglieder beschlossen die Gründung der Molkereigenossenschaft Poppenburg.
Zum ersten Vorstand wurden gewählt:
Zum ersten Aufsichtsrat wurden gewählt:
Am 1. Januar 1908 erfolgte die erste Milchanlieferung. Zu diesem Zeitpunkt lieferten schon 125 Genossen ihre Milch an die Molkerei. Diese Anzahl erhöhte sich bis 1957 auf 269 Mitglieder.
Die Milchanlieferung betrug im Jahr 1908 1,68 Millionen kg Milch und steigerte sich bis 1940 auf 6,0 Mio. Kilogramm Milch.
Von 1940 bis 1947 fiel dann aufgrund der Kriegswirren die Milchmenge auf 3,6 Mio. kg. Ab 1950 stieg dann die Menge auf 8,0 Millionen kg Milch an.
Die Milchauszahlungspreise an die Bauern erhöhten sich von 10,3 Pf/kg Milch in 1908, auf 29,7 Pf/kg Milch in 1956.
Die Lieferanten kamen aus den Orten: Burgstemmen, Wülfingen, Nordstemmen, Mahlerten, Heyersum, Boitzum, Holtensen, Elze und weitere.
Lage der Molkerei:
Das Grundstück der Molkerei befand sich auf einem dreieckigen Flurstück zwischen der Bundesbahnstrecke und der Bundesstraße 1, am ehemaligen beschrankten Bahnübergang, heute die Bahnüberführung der B1.
Wegen der Errichtung dieser Überführung wurden die Molkereigebäude 1978 abgerissen und die Restfläche in Ackerland renaturiert.
Errichtung der Molkerei:
Mit dem Bau der Molkereigebäude war schon im Jahr 1906 begonnen worden, also bereits vor Gründung der Genossenschaft.
Es wurde ein Wohn-/Bürohaus mit anschließender Verarbeitungshalle und weitere Nebengebäude erstellt.
Im Obergeschoß wohnte der Betriebsleiter, im Erdgeschoß waren die Büros untergebracht.
Die Verarbeitungshalle war aus hygienischen Gründen schon damals bereits bis zur Decke gefliest. Im Laufe der Jahre wurde, aufgrund der gestiegenen Milchmenge, die Molkerei mit weiteren An- und Ausbauten ergänzt.
Die technischen Einrichtungen wurden aufgrund der rasanten Entwicklung auch auf diesem Gebiet ständig erweitert.
1934: 1 neuer Butterfertiger und 3 Entrahmungszentrifugen
1936: 1 Kühlmaschine und Kühlanlage
1940: 1 Käseformwaschmaschine und Kannenwaschmaschine
1942: 1 Kesselhaus gebaut, um den erhöhten Energiebedarf zudecken
1945: 3 Stück 3000-Liter-Entrahmungsmaschinen,
2 glasemaillierte Milchtanks a` 6000 l
1946: 1 Butterpackmaschine, 1 Käsefertiger
1948 5 glasemaillierte Milchtanks mit 19.500 l Fassungsvermögen
1950: 1 Kochkäseeinrichtung und 1 Laboreinrichtung
1950: 2 Werkswohnungen für Buttermeier und Käsemeister
1952: 1 Neubau eines Siedlungshauses, usw.
Milchanlieferung:
Die Milchanlieferung aus den einzelnen Ortschaften erfolgte in Milchkannen mit einem Volumen von 20 Litern.
Jeder Bauer hatte von der Molkerei eine verbindliche Nummer (z.B 22) zugewiesen bekommen, die auf seine Milchkannen aufgepresst war. An Hand dieser Nummer wurden der jeweilige Milchlieferant und die von ihm abgelieferte Milch erfasst.
Zur Abholung mussten die Bauern ihre Kannen frühmorgens auf einen „Milchbock“ (Holzbank) an die Straße stellen, der in etwa die Höhe des Ackerwagens hatte, um das Auf/Abladen zu erleichtern.
Abgeholt und zurückgebracht wurden die Milchkannen von Landwirten aus den jeweiligen Orten, die im Auftrag der Molkerei diesen Dienst gegen Bezahlung durchführten.
Die Abrechnung der gelieferten Milchmenge erfolgte durch die Molkerei und wurde den Bauern monatlich gutgeschrieben.
Auf dem Rückweg der Kannen konnten sich die Bauern von der Molkerei Molke oder auch Butter mitbringen lassen. Die Molke, die bei der Entrahmung anfiel, konnte so in der Tierfütterung Verwendung finden.
Die Milch wurde vor der Annahme in der Molkerei überprüft und kontrolliert.
Da die hygienischen Bedingungen in der Melktechnik nicht mit den heutigen vergleichbar waren, konnte es sein, dass die Milch nicht den Anforderungen der Molkerei entsprach. Deshalb wurde saure oder verdreckte Milch nicht angenommen, sondern zurückgewiesen.
In den 1960er Jahren wurde die Molke bereits im großen Stil getrocknet und zu Magermilchpulver verarbeitet.
Milchkontrollverein Poppenburg
Im Jahre 1934 wurde auf Anordnung des Reichsnährstandes für das gesamte deutsche Reich die Pflichtleistungsprüfung für Milchkuhbestände angeordnet Die Kontrolle sollte alle Betriebe mit mehr als zwei Kühen erfassen. Der Landeskontrollverband war für die Durchführung verantwortlich. Die Leistungsprüfer verrichteten in den Betrieben das Probemelken und die Kontrollbuchführung, außerdem die Futter/Zuchtberatung.
Nach dem 2. Weltkrieg wurden diese Kontrolluntersuchungen auf freiwilliger Basis mit der Bezeichnung „Milchkontrollverein“ fortgesetzt.
Auch die Molkerei Poppenburg hatte so für ihre Milchlieferanten ihren eigenen Milchkontrollverein, der im Sinne der Molkerei wirken sollte.
Aufgabe des Vereins war es den Landwirten beratend zur Seite zu stehen.
Ziel des Vereins:
Von Bedeutung war insbesondere, dass die Milch jeder Kuh auf Keime, wie zum Beispiel TBC, untersucht wurde. Dadurch konnten befallene Kühe ermittelt und sofort ausgemerzt werden.
Aus dem Jahresbericht 1949 geht hervor, dass 1728 Kühe unter Kontrolle standen, das waren 88% aller vorhandenen Kühe des Kontrollgebietes.
Die Milchleistung je Kuh und Jahr lag damals bei 3900 kg.
Die verstärkten Züchtungsbemühungen auf das Ziel Milch und verbesserte Futtergrundlagen führten zu einer deutlichen Steigerung der Milchproduktion.
Zum Vergleich: die heutige Milchleistung der Kühe liegt durchschnittlich bei 6000 kg im Jahr.
Vereinzelt werden auch schon bis 10.000 kg/ Kuh erreicht.
Vermarktung
Auf Grund der Züchtungs- und Fütterungserfolge war die Milchproduktion seit dem Jahr 1950 stark gestiegen.
Am Anfang der 1950er stand die Versorgung mit Milch, besonders in den Städten im Vordergrund. So lieferten die Molkereien Poppenburg, Eime und Coppenbrügge jede Woche über 100.000 Liter Milch in die geteilte Stadt Berlin.
Mehrere Tanklastzüge der Firma Bolle aus Berlin holten wöchentlich die Milch, sowie Sahne und Quark zur Versorgung der Berliner Bevölkerung ab.
In den ländlichen Gebieten sorgte der Milchhändler mit seinem Milchwagen (zunächst mit Pferd, später motorisiert) für die Versorgung der Bewohner mit Milchprodukten, wobei das Angebot später auf allgemeine Lebensmittel ausgedehnt wurde.
Aufgrund der stark gestiegenen Milchmenge wurde ab 1953 zur Belebung des Milchabsatzes, das mit öffentlichen Mitteln geförderte Milchfrühstück in den Schulen eingeführt. Im letzten Jahr der Verbilligung (1966) erreichte der Schulmilchabsatz 54 Millionen Portionen, danach ging der Milchabsatz stark zurück.
Rationalisierung und Fusion:
Mit der Gründung der europäischen Wirtschaftsunion 1957 beginnt auch eine neue Ära in der Landwirtschaft und damit verbunden im Molkereiwesen.
Die Veränderungen in der Landwirtschaft führten in den folgenden Jahren zu einer Aufgabe vieler Milchkuhbestände zugunsten anderer Tierhaltungszweige z.B Hühner und Mastschweine oder viehlosem Ackerbau.
Durch die Auflösung der Domäne Poppenburg (1964) verlor die Molkerei außerdem einen sehr großen Milchviehhalter.
Das führte zu einer deutlichen Reduzierung der Milchmenge und damit verbunden zu einer auf Dauer nicht überlebensfähigen Molkerei.
Da es auch im Handel zu einer Konzentration hin zu Einkaufsketten kam, waren auch die Molkereien unter Zugzwang.
Auf Grund dieser Situation beschloss die Generalversammlung der Molkerei Poppenburg im Jahre 1964 sich der Milchgenossenschaft Hannover als größerer Einheit anzuschließen.
Somit endete die Milchverarbeitung 1965. Zunächst diente die Molkerei noch als Sammelannahmestelle, dann wurde die Milch jedoch durch Milchtankwagen aus Hannover, direkt bei den verbliebenen Milchbauern, abgeholt.
Veränderte Nutzung:
Die Molkereigebäude wurden 1967 an den Bäckermeister Friedrich Fasold aus Burgstemmen verkauft und von ihm zu einer Großbäckerei ausgebaut.
Mit 45 Beschäftigten stellte die Bäckerei täglich tausende Kuchen unter dem Namen „Sven-Cake“ im Fließbandverfahren her.
Im Jahr 1974 verkaufte Friedrich Fasold den Bäckereibetrieb an eine englische Firma.
Im Jahr 1977 kaufte die Straßenbauverwaltung das gesamte Areal der Großbäckerei, alle Gebäude wurden abgerissen, um Platz für die zukünftige Bahnüberführung zu schaffen, die dann 1980 fertiggestellt wurde.
Kleine Statistik:
Jahr | Anzahl/
Leistung |
|
Anzahl der Molkereien
In Niedersachsen |
1950
2011 |
603 Molkereien
33 Molkereien |
Anzahl der Milchkuhhalter in Niedersachsen | 1950
2011 |
237.000 Halter
11.167 Halter |
Anzahl der Milchkühe
in Niedersachsen |
1950
2011 |
1.036.00 Kühe
7.41.900 Kühe |
Für 1 kg Butter werden 22kg Milch benötigt |
Wohn- und Bürogebäude der Molkerei
Burgstemmen, März 2013
Karl-Heinz Bertram
Ortsheimatpfleger
Quellenangabe:
Heinz-Peter Mielke, Milchstraße,
Hans Südbek, Schwarz und Rotbunte aus Südoldenburg,
Gedenkschrift Molkerei Poppenburg,
LVN Niedersachsen,
Ortsheimatpflege Wülfingen,
Friedrich Fasold